Adolf Hemberger in Gnostika

Wenn wir in GNOSTIKA einen Aufsatz von Adolf Hemberger (1929-1992) bringen, so muss ich wohl einige Sätze voranstellen. Eigentlich würde er ja eine etwas tiefergehende Studie verdienen, denn schließlich war er es, der erstmalig nach dem Zweiten Weltkrieg akademische Studien zu Geschichte und Lehrgut der esoterischen, aber vor allem magischen Geheimbünde im deutschen Sprachraum in Angriff nahm.

Adolf Hemberger war im Brotberuf seit 1970 an der Universität Gießen tätig und hatte dort den Lehrstuhl für Wissenschaftstheorie und Forschungsmethodologie inne. Seinen zahllosen Interessen gemäß hatte er vorher in der Politikwissenschaft gearbeitet, war Dozent für Psychologie und Heilpädagogik in Fulda gewesen und hatte ebenso an Volkshochschulen (z. B. autogenes Training) unterrichtet. Er hatte gleichfalls einen Abschluss als Diplom-Volkswirt. Jahrelang war er auch Erster Vorsitzender des Instituts für Verhaltenstherapie und Präventivmedizin in Bad Nauheim gewesen und hatte in der Odenwald-Kurklinik die Psychosomatische Abteilung (Spezialgebiet Karzinomkranke) mitaufgebaut. Auf diesem letztgenannten Sektor hatte er sich auch der Ärzteausbildung gewidmet. In medizinischen Fachzeitschriften hat er sogar Einschlägiges dazu veröffentlicht. Weitere Fachgebiete waren die Mathematik, insbesondere die Statistik, Verhaltensforschung bei Tieren, insbesondere Pferden sowie die Geschichte der Studentenverbindungen in Deutschland. Über all diese Gebiete liegen Publikationen von ihm vor.

Aber das ist nicht der Grund, warum er in unserer Zeitschrift zu Worte kommt. Ich habe es bereits eingangs erwähnt. Er war der erste Universitätsprofessor in Deutschland nach 1945, der magische Gruppierungen – sogenannte Geheimlogen – ernst nahm, ihr Material studierte und mit Geldern der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die er von der Wichtigkeit dieser Studien zu überzeugen vermochte, auch Arbeiten dazu veröffentlichte. Zugegebenermaßen war Adolf Hemberger ein selbst von der „Magie” Infizierter und daher vor allem an solchen Organisationen und Personen interessiert, die tatsächlich „praktische Magie” und vor allem die sogenannte Evokationsmagie betrieben. So war er derjenige, der Anfang der siebziger Jahre interne Materialien der sicherlich wichtigsten deutschen magisch-gnostischen Loge, nämlich der Fraternitas Saturni, veröffentlichte (15 Teile in 17 dicken hektographierten A4 Bänden), was damals einen Eklat auslöste. Besondere Studien widmete er auch Wilhelm „Rah Omir” Quintscher und Dr. Franz Sättler – „Musallam”, die gemeinsam mit dem viel bekannteren Franz Bardon das deutsche „magische Dreigestirn” bildeten. Auch deren Material, das sie im sogenannten „Adonistenbund” bearbeiteten, veröffentlichte er in einer ganzen Reihe von schweren hektographierten A4 Bänden. In seiner dreibändigen Arbeit Pansophie und Rosenkreuz wiederum, die auch einige Kommentare seinerseits enthält, veröffentlichte er interne Unterlagen des Ordo Templi Orientis (O.T.O.), des Freimaurerordens Goldenes Centurium (F.O.G.C.) ebenso, wie verschiedener Templerlogen, Hexengilden usw. Bei diesen Bänden handelt es sich praktisch nur um gebundene Kopien, die in einer Auflage von 50-100 Stück ausschließlich an Leute abgegeben wurden, die Hemberger persönlich kannte und die meist in seiner eigenen Gruppierung C 72 (Zahl der Genien) organisiert waren.

Ein bis heute immer wieder neu aufgelegtes Werk von ihm, das über diese Kompilationstätigkeit hinausgeht, ist seine Experimentalmagie, die er unter dem Pseudonym Dr. Klingsor schrieb und durch die zum ersten Mal, eine breitere Öffentlichkeit überhaupt von der Existenz magischer Geheimlogen erfuhr. Sein Geheimnis der Grünen Schlange, eine Geschichte der Freimaurerei, liegt zwar druckfertig vor, ist aber nie veröffentlicht worden. Die Hintergründe sind nicht ganz klar. Jedenfalls gab es einen Zwist mit der Forschungsloge Quatuor Coronati (Hemberger war nach eigenen Angaben regulärer Freimaurer und zumindest eine Zeitlang Mitglied der Forschungsloge, daneben aber auch Martinist, Mitglied mehrerer magischer Gruppierungen und vor allem Oberhaupt des von ihm (?) wiederbegründeten Deutschen Adonistenbundes.

Seine Forschungen und auch praktischen magischen Experimente (neben Pendel, Wünschelrute und Reinkarnationsexperimente) erschwerten bald sein Leben an der Universität. Ein sogenannter Aufdeckungsjournalist namens Horst Knaut warf ihm dann in knallig aufgemachten Artikeln in der weit verbreiteten Publikumszeitschrift Quick und in darauf folgenden Büchern implizit satanistische und sexualmagische Riten vor, die seinen Ruf schließlich völlig untergruben. Gerichtsprozesse nützten ihm da wenig. Dazu kamen private und gesundheitliche Probleme und daraus resultierend ein überraschend früher Tod. Adolf Hemberger, der neben Latein und Griechisch auch einige moderne Sprachen beherrschte, war aber nicht nur in Kontakt mit magisch operierenden Menschen, sondern auch mit Forschern auf diesem Spezialgebiet wie mit Ellic Howe oder Prof. Horst Möller. Auch mit Oskar Schlag und Emil Stejnar war er gut bekannt.

Da Adolf Hemberger vielfach wahllos Materialien kopierte, sie leider oft mangelhaft kommentierte und historisch immer wieder auch fehlerhaft bearbeitete, ist sein Ruf akademisch beschädigt geblieben. Bei der übergroßen Menge an Schrifttum, das durch seine Hände ging (seine Privatbibliothek betrug schon an die 15.000 Bücher) und der Fülle seiner Interessen wundert das eigentlich nicht, obwohl er andererseits über ein phänomenales Gedächtnis verfügte. Mag auch einiges im Argen liegen, so hat Prof. Hemberger allein durch seine unglaubliche Sammeltätigkeit viel an Unterlagen erhalten, die sonst wahrscheinlich verloren gegangen wären. Leider scheint es aber im Augenblick niemand zu geben, der in ruhigerer und abgesicherter Weise -seine Nachfolge anzutreten gewillt wäre. Vielleicht gibt dieser kleine Aufruf und Nachruf den Anstoß zu einer ernsteren Beschäftigung mit seinen Arbeiten. Mich, der ich Prof. Dr. Adolf Hemberger über zwanzig Jahre kannte und bei allen unterschiedlichen Auffassungen auch schätzte, würde das freuen.

H. T. Hakl

GNOSTIKA 5. Jahrgang. Heftnummer 17, S 50f.