Johannes Kepler

Kepler

Kindheit und Jugend

Johannes Kepler wurde 1571 in Weil der Stadt als Kind protestantischer Eltern geboren. Sein Vater Heinrich Kepler war ein Kaufmann in Weil, der jedoch zwei Jahre nach Johannes Keplers Geburt in die Spanischen Niederlande zog, um gegen die Calvinisten zu kämpfen, wohin ihm Keplers Mutter, Katharina 1575 folgte.

Johannes blieb bei den Schwiegereltern in Weil, wo er an den Pocken erkrankte (es blieben ihm zeitlebens Narben zurück).

Kepler besucht zuerst in Leonberg die deutsche Lese- und Schreibschule, anschließend die Lateinschule (ebenfalls in Leonberg). Danach ging er auf die Klosterschule in Maulbronn, die damals eine Vorstufe zur Ausbildung zum Pfarrer war. Für das Stipendium, das ihm diese Schule finanzierte, musste er sich verpflichten, später Theologie zu studieren.

So begann er zunächst auch 1589 mit den Vorbereitungskursen zum Theologiestudium an der Universität Tübingen. In seiner ersten Zeit an der Universität entdeckte er jedoch seine Vorliebe für Mathematik und Astronomie. Bei Michael Mästlin, Professor für Mathematik und Astronomie, dürfte Kepler auch zum ersten Mal mit dem Heliozentrischen Weltbild in Berührung gekommen sein. Mästlin vertrat das Kopernikanische Weltbild zwar nicht offen, dürfte aber in seinen Vorlesungen seine tatsächlichen Ansichten durchklingen haben lassen.

Kepler betrieb zwar sein Theologiestudium weiter, verstrickte sich jedoch in Konflikte über die protestantische Lehrmeinung. Nachdem er 1591 die philosophische Magisterwürde erlangt hatte, versuchte er eine 1593 in Graz freiwerdende Stelle als Mathematikprofessor am protestantischen Gymnasium anzutreten.

Kepler suchte daher beim Landesfürsten um Entlassung aus den Verpflichtungen ihm gegenüber, die er wegen eines Stipendiums hatte, an. Diese und die Unterbrechung des Theologiestudiums wurde ihm im Februar 1594 genehmigt. Im März trat er die Reise nach Graz an.

Kepler in Graz

In Graz hatte Kepler außer seiner Unterrichtsverpflichtung am Gymnasium als Landschaftsmathematiker auch noch “Prognostiken”, also astronomische Kalender mit Vorhersagen über die Witterungsverhältnisse und bedeutende Ereignisse des kommenden Jahres zu erstellen. Während er mit seinen Prognosen eine glückliche Hand bewies, war sein Posten als Lehrer durchaus nicht unproblematisch:

Erzherzog Karl war um 1570 dazu übergegangen, die Protestanten offen zu bekämpfen. Ein Jesuitenkolleg, ein Jesuitengymnasium und 1585 schließlich eine Jesuitenuniversität wurden gegründet und die Schule, an der Kepler später unterrichtete wurde offiziell verboten. Obwohl sie weiter bestand, war dieses Weiterbestehen jedoch von ständigen Schmäh- und Hetzkampangen begleitet.

Zu seinen Erfolgen als Landschaftsmathematiker in Graz gehörte, dass er ein Astrologisches Prognosticum für das Jahr 1595 erstellte, in dem er sowohl das Wetter, als auch Bauernunruhen und einen Türkeneinfall richtig vorhersagte.

Als Astronom beschäftigte sich Kepler in Graz zunächst mit den Abständen der Planeten zueinander, die er mit den Platonischen Körpern in einen Zusammenhang brachte. Dieses “Weltgeheimnis” (Mysterium Cosmographicum) veröffentlichte Kepler 1597 als sein astronomisches Erstlingswerk.

Im selben Jahr heiratet Kepler auch seine erste Frau, Barbara, die mit 23 Jahren bereits zweifache Witwe war. Obwohl diese Ehe offenbar von Anfang an nicht unproblematisch war (einen Rechtsstreit gab es bereits um das Verlöbnis), erhoffte sich Kepler von der reichen Tochter eines Mühlenbesitzers materielle Absicherung für seine wissenschaftliche Tätigkeit. Am 2. Februar 1598 kam Keplers erster Sohn, Heinrich zur Welt. Er starb jedoch, genauso wie Keplers zweites Kind Susanna kurz nach der Geburt an Hirnhautentzündung.

Kepler beginnt mit den Vorarbeiten zu den Harmonice Mundi und mit einer Untersuchung über die Fixsternparallaxen. Dabei steht Kepler vor allem vor dem Problem keine eigenen Messinstrumente zu besitzen, um seine Theorien empirisch zu überprüfen. Er versucht deshalb (und wegen der sich zuspitzenden religiösen Verfolgung der Protestanten in Graz), eine Anstellung beim Hofastronomen Tycho Brahe zu bekommen, dem Forscher, der die genauesten empirischen Daten und die exaktesten Messinstrumente seiner Zeit hatte.

Die Zeit in Prag

Kepler übersiedelt 1600 nach Prag, wobei er seinen Hausrat in Linz zurücklässt. Er übernimmt zusammen mit Brahe die Berechnung neuer Planetentafeln für Kaiser Rudolf II, die auch nach diesem Rudolfinische Tafeln benannt werden. Kepler war gerade in Prag in eine Wohnung eingezogen, da starb Tycho Brahe.

Bevor ihn die Erben daran hindern konnten, nahm Kepler Brahes wertvolle Beobachtungsdaten an sich. Kurz nach Brahes Tod konnte Kepler auch dessen Stellung als kaiserlicher Mathematiker und dessen Astronomische Instrumente übernehmen.

Ende 1604 verfasst Kepler einen Bericht über eine Supernova, die er beobachtet hatte und beginnt mit der Arbeit an der “Astronomia Nova”, einer Abhandlung über die Bewegung des Mars. Dabei stellt Kepler zum ersten mal die Kreisförmigkeit der Planetenbahnen in Frage und versucht die Marsbahn zunächst mit einem oval zu erklären. Erst Ostern 1605 ringt er sich dazu durch, eine elliptische Planetenbahn anzunehmen, eine Lösung der er bis dahin als zu einfach misstraut hatte. Er stellt die “Astronomia Nova” noch 1606 fertig, der Druck dauerte jedoch bis 1609.

Im folgenden Jahr erfährt Kepler von einer anderen revolutionären astronomischen Entdeckung: Galilei hatte mittels eines Fernrohrs die Jupitermonde und die Mondoberfläche gesehen, zwei weitere Tatsachen, die das heliozentrische Weltbild Kopernikus unterstützten.

Als Kepler im August dieses Jahres die Gelegenheit erhält, selbst ein Fernrohr zu verwenden, schlägt Kepler in seiner Abhandlung über die Optik, die Linsen und Linsensysteme “Dioptrice” eine verbesserte Form des galileischen Fernrohrs vor. Dieses Keplersche Fernrohr, das sehr lange in der Astronomie in Verwendung blieb, hatte als Okular statt einer konkaven eine konvexe Linse. Es erlaubt dadurch wesentlich höhere Vergrößerungen.

Als 1611 feindliche Truppen plündernd in Prag einfielen und Rudolf II abdanken musste, versuchte Kepler eine Stellung in Linz zu erhalten. Am 3. Juli 1611 starb seine Frau Barbara an einer Seuche. Kepler gab seine Kinder in Pflege und ging nach Linz.

Kepler in Linz

Im Mai 1612 kam Kepler in Linz an und nahm eine Stellung an, die einerseits als kaiserlicher Mathematiker die Herausgabe der Rudolfinischen Tafeln, andererseits eine Unterrichtstätigkeit und die Erstellung einer Landkarte umfasste.

Kaum in Linz angekommen, verwickelte sich Kepler in religiöse Streitereien, weil er dem protestantischen Pfarrer von Linz seine religiösen Zweifel anvertraute. Prompt wurde er von der Kommunion ausgeschlossen, was damals für einen entsprechenden Skandal sorgte.

Im Oktober 1613 heiratete Kepler in Eferding seine zweite Frau, Susanna, die ärmliche Tochter eines Tischlers. Zusammen mit seinen zwei Kindern aus erster Ehe zog er in ein Haus in der Hofgasse. Dort wurde er beim Weinkauf auf die Idee gebracht, eine Untersuchung über das Volumen von Weinfässern zu veröffentlichen, die “Nova Stereometria”.

Im Jahr 1615 wurde Kepler eine Tochter, Margarethe Regina, geboren. Ansonsten hatte er aber große Probleme mit seiner Familie: In Leonberg wurde die Mutter Keplers als Hexe diffamiert. Nach einem geschäftlichen Streit mit der Gattin eines Glasers, Ursula Reinbold, bezichtigt diese Katharina Kepler ihr einen bitteren Trank gegeben zu haben, an dem sie erkrankt sei. Dabei wurde auch eine phantastische Erzählung Keplers, in der seine Mutter als Hexe Fiolxhilde bezeichnet wird, als Indiz gewertet. Der Prozess gegen sie wird überdies vom Gericht unnötig hinausgezögert, was die Verhältnisse weiter erschwert. Erst 1621 wurde sie von den Vorwürfen befreit, nachdem sie unter Folter verhört worden war. Sie starb jedoch kurz nach diesem “Freispruch”, im April 1622.

Im Mittelpunkt von Keplers wissenschaftlicher Arbeit in Linz standen die Rudolfinischen Tafeln und die “Harmonices mundi libri V”, die fünf Bücher über die Weltharmonik. Im fünften Band dieses Werkes formuliert er das dritte Keplersche Gesetz, das er am 18. März 1618 entdeckt hatte. Im Juli 1619 wurde der Druck der Harmonices fertiggestellt, der der Rudolfinischen Tafeln zögert sich jedoch unerwartet hinaus. Als während der Bauernkriege die Druckerei, in der die Tabulae Rudolfinae gedruckt werden sollen, in Flammen aufgeht, übersiedelt Kepler nach Ulm um die Tafeln dort fertigzustellen.

Ulm und Sagan

Doch auch in Ulm war der Druck der Rudolfinischen Tafeln nicht problemlos möglich: Einerseits wollte sich der hochverschuldete Drucker an Kepler schadlos halten, andererseits waren die Erben Tycho Brahes nicht mit der Gestaltung des Frontispizes einverstanden. Das Tafelwerk wurde schließlich im September 1627 fertiggestellt.

Im Juli 1625 übersiedelte Kepler nach Sagan, wo er auf den Tabulae Rudolfinae aufbauend Ephemeriden für die Jahre 1629 bis 1636 berechnete, eine zu Keplers Zeiten finanziell lukrative Aufgabe.

Am 15. November 1630 stirbt Kepler in Regensburg.

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Kepler war Astrologe

Zur Korrektur eines lügenhaften Heiligenbildes

Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als sich unsere Schulweisheit träumen lässt.
ARTHUR SCHOPENHAUER.

Ach, wenn sie wenigstens unsre Schulweisheit … Wissenschaft ist, wenn man rechtzeitig zu denken aufhört.
GÜNTHER NENNING

.. weil, so schließt er messerscharf, nicht sein kann, was nicht sein darf.
CHRISTIAN MORGENSTERN

Große Forscher, geniale Künstler und religiöse Erneuerer haben eines gemeinsam: Sie werden zu Lebzeiten ziemlich verkannt, verunglimpft und verfolgt, wenn möglich totgeschwiegen oder auch zu Tode gebracht; ist dann das Gras der Jahrzehnte und Jahrhunderte über sie gewachsen, bläht sich die Nachwelt auf, ihren Nachlass zu rühmen und sie zu “großen Söhnen der Menschheit” zu machen (seltener zu großen Töchtern)!

Dann werden Straßen, Kongresse, Marzipankugeln und Universitäten nach ihnen benannt, eine Flut lauwarmer Beweihräucherungsliteratur erscheint, und die Buchhändler dürfen sich im 50-Jahresrhythmus über gekünstelte Geburts- und Todesjubiläen freuen.

“Wenn der Onkel tot ist, darf nicht mehr schlecht über ihn gesprochen werden!” Als Schweigegeld wird der Nachlass gleichmäßig aufgeteilt … Wissenschaftler und Politiker, Wirtschaftstreibende, Kulturverweser und Patrioten klauben sich aus dem “überragendem Werk” genau ihren Teil heraus und schleifen sich den Autor zu einer Heiligenstatue zurecht. Dies ist der Stoff, aus dem die (ach so) grandiose Menschheitsgeschichte gedrechselt ist; die Menschengeschichte aber bleibt auf der Strecke. So auch beim Namenspatron unserer Universität und “Hausheiligen” des TNF-Turms: Johannes Kepler.

Minutengenaue Zeugung und die Schwächlichkeit des 7-Monats-Kindes

“Über die Geburt Johannes Keplers. Ich bin der Frage meiner Zeugung nachgegangen, die im Jahre 1571, am 16. Mai, morgens um 4.37 erfolgte. Meine Schwächlichkeit bei der Geburt widerlegt den Verdacht, meine Mutter sei bei ihrer Verheiratung, die am 15. Mai stattfand, bereits schwanger gewesen … Ich kam also vorzeitig zur Welt, mit zweiunddreißig Wochen, nach 224 Tagen, zehn Stunden …”. Also schrieb der 25-jährige Kepler in ein umfangreiches Familienhoroskop. Die Genauigkeit, mit der er nicht nur Planetenpositionen und Geburtszeit (27. Dezember 2.30 Uhr nachmittags), sondern eben auch die Zeugungsminute bestimmt, muss selbst heutige Astrologen verblüffen. Doch scheint sie typisch für einen Mann, dem die Sprache der Zahlen und die Harmonie der Sphären über alles ging – und dessen Leben alles andere als linientreu und harmonisch verlief.

Intellektuelle Selbstironie: Kepler als Hund

Wir brauchen nur weiter seiner frühen Biographie zu folgen: ” … 1575 (vierjährig) starb ich beinahe an den Pocken, war bei sehr schlechter Gesundheit, und meine Hände waren ganz kraftlos …

1585 bis 1586 (vier- bis fünfzehnjährig Iitt ich ständig an Hautkrankheiten, häufig an schlimmen Geschwüren, häufig an dem Schorf chronisch faulender Wunden an den Füßen, die schlecht heilten und immer wieder aufbrachen. An dem Mittelfinger der rechten Hand hatte ich einen Wurm, an der Linken ein sehr großes Geschwür 1589 (Achtzehnjährig) Ich begann schrecklich an Kopfschmerzen und Behinderung meiner Glieder zu leiden. Die Räude befiel mich … Dann gab es eine trockene Krankheit …1592 (einundzwanzigjährig). Ich ging nach Weil und verlor einen Viertelgulden beim Spiel … Bei Cupinga bot man mir eine Jungfrau an; am Vorabend von Neujahr vollbrachte ich es mit denkbar größter Schwierigkeit; wobei ich heftige Blasenschmerzen hatte …” (Arthur Koestler: Die Nachtwandler, 231 f)

Die körperlichen Gebrechen treiben Kepler in eine Bildungswut und Selbstironie, die ihn manchmal dazu bringen, in spöttischer Distanz von sich in der dritten Person zu schreiben. Die diesbezüglich markanteste Passage durfte jene sein, in der er sich (in guter zynischer Tradition?) mit einem Hund vergleicht: Dieser Mensch (also Kepler) hat in jeder Hinsicht eine hundeähnliche Natur. Sein Äußeres ist das eines Schoßhundchens … Er suchte ständig die Zuneigung anderer, war in allem und jedem von anderen abhängig … Er war ständig in Bewegung und schnüffelte in den Wissenschaften, der Politik und den Privatangelegenheiten, auch solchen niederster Art, herum … Er hat eine Hundeartige Abscheu vor Bädern, Tinkturen und Wässern. Seine Verwegenheit kennt keine Grenzen, was sicher dem Mars im Quadrat zu Merkur, in Trigon mit dem Mond zuzuschreiben ist; dennoch gibt er auf sein Leben gut acht … (Er hat) ein ungeheures Verlangen nach dem Größten …” (Koestler: 236).

Kepler macht mit seinen Selbstbezichtigungen, mit seiner Suche nach Anerkennung und mit dem frühen Bewusstsein seiner Außergewöhnlichkeit Alfred Adlers ” Organminderwertigkeit alle Ehre: “Dieser Mensch wurde dazu geboren, viel Zeit an schwierige Aufgaben zu wenden, vor denen andere zurückschreckten”, erkennt er denn auch an sich selbst (Koestler: 239); und an anderer Stelle meint er gebremst optimistisch: ” Woran andere verzweifeln; das ist mir eine Eingangspforte zu Ruhm und Besitz, wenn auch keine besonders breite.” (Günter Doebel: Johannes Kepler, 224) … Wenn auch – zu Lebzeiten – keine besonders breite!

Abrechnung mit der Sippschaft und Hexenprozess der Mutter

Dass Kepler nie zu Besitz gelangte, lag zum einen daran, dass seine fürstlichen Auftraggeber ihr Geld lieber in ihre Kriege als in die hehren Wissenschaften steckten; mindestens ebenso entscheidend war aber seine dürftige Herkunft. Während dem astronomischen Kollegen und dänischen Adeligen Tycho de Brahe gemäß königlichem Dekret ein märchenhaft üppiges Observatorium nebst der dazugehörigen Insel in den Schoß fiel, darbte Kepler Zeit seines Lebens und hatte enorme Schwierigkeiten, seinen Forschungsinteressen nachzukommen. Doch die fehlende materielle Rückendeckung ist es nicht, die er seiner Sippschaft als Spiegel vorhält

Aus dem Familienhoroskop geht vielmehr hervor, dass Kepler in einem gewichtigeren Sinne “von Haus aus” benachteiligt war: Der Großvater Sebald, Richter der kaiserlichen Stadt Weil, kommt noch relativ gut weg: “Im mittleren Alter erwarb er Ehren und gab sich schwierigsten Geschäften zur Bewahrung der Vaterstadt hin. Alle Ämter übte er aus, war besonders den Vornehmen gefällig, erwarb daher im Alter das größte Vermögen, wie das Testament offenbart.”

Doch von da an ging es bergab mit dem Geschlechte der Kepler: “Mein Vater Heinrich ist 1547 am 19. Januar geboren, Saturn richtete alles zugrunde, brachte einen ruchlosen, schroffen, streitsüchtigen und zuletzt einen Menschen von schlimmem Tod hervor. Die Stellung der Gestirne vermehrte seine Bosheit, stürzte ihn in Armut … Er erlernte den Geschützdienst, hatte viele Feinde, eine Ehe voller Streit … 1577 ergab sich für den Vater eine ungeheure Bedrohung, er fiel in Gefahr, gehängt zu werden … Sein Bruder Sebald, geboren am 13. November 1552, war Zauberer, Jesuit, Priester der ersten und zweiten Ordination, schmutzig im Leben; da er katholisch war, täuschte er lutherisch vor … Er steckte sich mit der gallischen Krankheit an, war ruchlos und hasste seine Mitbürger …”. (Justus Schmidt: Johannes Kepler, 218 f.). In diesem Tonfall geht es weiter. Onkeln, Tanten und Anverwandte entgehen dem strengen Urteil nur mit wenigen Ausnahmen.

Mit der Mutter und mit einer Tante hatte es indes eine eigene Bewandtnis: Sie sammelten Kräuter und kochten Tränke, an deren Kräfte sie glaubten. Das, und einige nebulose Verleumdungen, reichten zur damaligen Zeit völlig aus, um der Hexerei verdächtigt zu werden. Die Tante endete solcherart auf dem Scheiterhaufen und der Mutter Katharina wäre es um ein Haar ähnlich ergangen. Nachdem sie knapp der Folter entkommen war, wurde sie – von einer sechsjährigen Untersuchung zermürbt – doch noch freigelassen (ein halbes Jahr später verstarb sie, 75jährig). Das Überraschende dabei: Der Sohn Johannes, der die Mutter im Familienhoroskop nicht eben ins beste Licht gerückt hat (“klatschsüchtig und zänkisch, von schlechter Veranlagung”), zerfranst sich fast zu ihrer Verteidigung. Laufend macht er Eingaben an die Behörden, setzt seine ganze Autorität als kaiserlicher Mathematiker ein und reist zweimal des längeren von Linz nach Würtenberg, um seiner Mutter beizustehen.

Zwischendurch muss er entdecken, dass auch er selber “verbotener Künsten bezüchtigt worden sey, was ihn in seinem Eifer aber umso mehr anstachelt. So weit, dass er gegen Ende des Verfahrens von gerichtlicher Seite schon gefürchtet ist: “Sein Auftreten im Prozess wird am kürzesten und besten gekennzeichnet, wenn der Stadtschreiber in dem Protokoll einer Gerichtssitzung … bemerkte: Die Verhaftin erscheint Ieider mit Beystand Ihres Herrn Sohns Johann Kepplers Mathematici.” – (Caspar: Johannes Kepler, 300). Ja – eines kann Kepler wohl am wenigsten vorgehalten werden: dass er nicht mutig genug gewesen sei, sich aus Wahrheitsliebe auch zwischen die Stühle setzen! – Sei es beim Hexenprozess gegen die Mutter, sei es im eigenen Konflikt mit der Kirche oder in der Auseinandersetzung mit den Gegnern Scharlatanen der Astrologie …

Warnung an die Gegner der Astrologie – Kepler macht nicht nur Kalender:

Wer die Sekundärliteratur zu Kepler studiert und einige astrologische Kenntnis besitzt, wird vor einem Schwall wissenschaftlich gestylter Ignoranz erschrecken müssen. Manche Autoren tilgen die Astrologie fast vollständig aus Keplers Biographie, manche meinen, einen (heroischen?) Abwehrkampf führen zu müssen gegen alle Eintrübungen des neuzeitlichen Denkens. Hierbei wird Keplers frühe Leidenschaft für Astrologie gleichsam als spätpubertäre Verwirrung begriffen; sodann werden aus dem Gesamtwerk Keplers einige Astrologie-kritische Aussagen herausdestilliert und so oft abgedruckt, bis dass ein “klinisch reiner” Kepler zustande kommt. Die meisten Nachlassverwalter sind zu sehr in ihrem Entweder-Oder Käfig gefangen, um zu bemerken, dass Johannes Kepler sowohl Verteidiger als auch Gegner der Astrologie war.

Damals wie heute ist nämlich Astrologie nicht gleich Astrologie! Was Kepler verabscheute, war die Jahrmarkts- und Volksverdummungsastrologie. Dagegen gibt es in der Tal genügend Polemiken, die – wohlweislich – aber nicht in inquisitorischer Strenge abgefasst sind; Kepler wusste sehr genau um die Empfänglichkeit der Leute für Zukunftsdeutungen und rang sich zu manchem Kompromiss durch: “Wir benutzen die ungeordneten und verderblichen astrologischen Begierden der Menge, um ihr als “Heilmittel geeignete Mahnungen unter der Form von Prognostiken verhüllt einzuträufeln.” (Doebel: 219) Mit den Prognistiken sind in diesem Falle Kalenderwerke gemeint, die in erster Linie “Von den vier Jahrzeiten, ihrer Witterung, Kranckheiten und Fruchtbarkheit” handelten und gewöhnlich von den Landschaftsmathematikern erstellt wurden. Kepler bewies darin eine glückliche Hand und machte sich bald einen Namen.

Schon sein erster Kalender war ein Volltreffer – er schreibt an seinen Lehrer Michael Mästlin: “Übrigens haben sich die Voraussagen des Kalenders so weit als richtig erwiesen. Es ist eine ungeahnte Kälte in unserem Land. In den Höfen auf den Bergen sterben die Leute vor Kälte. Nach zuverlässigen Berichten fallen ihnen die Nasen ab, wenn sie nach Hause kommen und sich schneuzen …” (Koestler: 242f). Kepler erstellt darüber hinaus auch – eine Unzahl von Geburtshoroskopen – zumeist für adelige Interessenten. Oft war der Andrang so stark, dass er allmonatlich eine briefliche Bitte um ein “Thema Natiuitatis” zu beantworten habe (vgl. z.B. Ges. Werke: Bd. XVII, Brief Nr. 694ff). Das Vergnügen darüber wird zwar heftig bezweifelt, die Einkünfte aus den astrologischen Auftragswerken waren für Kepler aber jedenfalls unverzichtbar. Alle eingefleischten Rationalisten mögen an dieser Stelle bedenken, dass seine astronomischen Weitwürfe ohne die Finanzquelle der “Sterndeuterei” vielleicht gar nicht möglich gewesen wären. Er selbst war sich dessen voll bewusst. “Der Fürwitz in Astrologia lehret und ernehret die Astronomiam.” Doch damit sind wir schon mitten in seinem astrologischen Hauptwerk:

Keplers mögliches Vermächtnis: Die Welt nicht dem Bad auszuschütten

“Warnung an etliche Theologos, Medicos und Philosophos …, daß sie bey billicher Verwerfung der Sternguckerischen Aberglauben/nicht das Kindt mit dem Badt außschütten und hiermit ihrer Profession unwissendt zuwider handlen”, heißt es und erfüllt in vollem Maße, was die Titelseite verspricht: “Mit vielen hochwichtigen zuvor nie erregten oder erörterten Philosophischen Fragen gezieret/Allen wahren Liebhabern der natürlichen Geheymnussen zum nohtwendigem Unterricht …”. Kepler liefert ein Lehrstück für anschauliche, einfallsreiche und mehrdimensionale wissenschaftliche Argumentation. Da wird eben nichts “billich” verworfen, sondern sorgfältig geprüft, da schlägt nicht das ängstliche Hüten der eigenen Grenzen (des eigenen Horizonts) durch, sondern ein lebhaftes Interesse am Unbekannten. “Eygentliches fürhaben dieser Schrifft: daß nemlich in der Astrologia viel grosser Geheymnussen der Natur verborgen liegen”, schreibt er in die vorbildliche Inhaltsübersicht. Er diskutiert die zeitgenössischen astrologischen Meinungen, fügt seine Ansichten hinzu und legt Querverbindungen, etwa zur “Medicina Botanica”. “Wann die Mutter grosses Leibs und an der natürlichen Zeit ist, so suchet dann die Natur einen Tag und Stund zur Geburt, der sich mit der Mutter ihres Vattem oder Brudern Geburt Himmels halben … vergleichet”, heißt es – zur Kostprobe – im Paragraph 67, der Paragraph 108 enthält einen gerafften Einblick in ein nicht nur vemünftiges Weltbild: “Wahr ist es, die Sterne seynd nicht darumb geschaffen, daß sie mich meistern, sondern zu nutz und Dienst … Aber wahr ist auch darneben, Daß mein natürliche Seel … also erschaffen seye, daß sie in der Geburt von dem Gestirn einen charakterem empfahen … ” (Ges. Werke: Bd. IV. 155 ff).

Nie kommt bei der Lektüre von Keplers Werken der Eindruck auf, dass er, wenn er ein Urteil fällt, nicht wüsste, wovon er spricht. Anstatt einer bestimmten Methode anzuhängen, zieht er es vor, sich mit verschiedensten Blickwinkeln vertraut zu machen. Er hat darum auch keine größeren Schwierigkeiten, den aufkommenden neuzeitlichen Rationalismus mit älteren Erkenntnistraditionen “unter ein Dach” zu bringen (diese Schwierigkeiten scheinen erst seine Biographen und Interpreten zu haben). In fruchtbarer Synthese und(!) strenger Scheidung geht nicht nur die Astrologie, sondern auch die Pythagoräisch- mystische Zahlenmagie in sein Werk ein; sie liefert ihm die Grundlagen für seine “vollkommenen Körper” und harmonischen Relationen. Und Kepler wiederum wirkt auf diese Traditionen zurück: Der Astrologie etwa beschert er eine wesentlich verbesserte Aspektlehre. Ein Leben in spannungsreicher Auseinandersetzung also, die bis ins Alter durchhielt: “Noch mit 55 Jahren bewarb sich Kepler in Straßburg um einen Lehrstuhl für Astrologie.” (Bauer/Dümotz/Golowin: Lexikon der Symbole, 473)

Wenn ich in die Runde von Keplers angeblichen Nachfolgern blicke, so wird es rar um die eben gelobten Tugenden. Schnell sind sie mit ihrem “Irrationalismusverdacht” zur Hand, wenn es um das Abblocken anderer Erkenntniswege geht. “Die sollen dann angeblich so gefährlich sein, besonders für “unsere” heranwachsende Jugend. Solche Aussagen produzieren natürlich immer öfter einen Bumerang-Effekt, denn was könnte irrationaler und gefährlicher sein, als viele wissenschaftliche “Segnungen” der Gegenwart: vom Atom-U-Boot über das Bildungswesen bis zur 2-Liter-Leichtflasche! Angesicht der brisanten Weltlage ist es doppelt befremdlich, dass sich viele Wissenschaftler (wider besseres Wissen!) an ihren überkommenden Standorten einigen und nicht bereit sind, etwas radikal Neues (oder radikal Altes) wenigstens auszuprobieren. Anstatt dessen wird – ähnlich einer dogmatisch erkalteten Kirche – ein verbissener Abwehrkampf geführt. Nicht selten mit unlauteren Mitteln:

Szene 1: 1975 veröffentlichte die amerikanische Zeitschrift “The Humanist” eine. Erklärung, in der sich 186 Wissenschaftler, darunter 18 Nobelpreisträger, gegen die Astrologie wenden. Paul Feyerabend griff die Stellungnahme auf, zu prüfen, wie es um die Stichhaltigkeit der Aussagen und um die fachliche Kompetenz der Unterzeichneten bestellt sei. Seine Ergebnisse werfen ein seltsames Bild auf die vermeintlich seriösen Herren:”… das Urteil der 186 führenden Wissenschaftler” ruht auf einer vorsintflutlichen Anthropologie, auf einer Unkenntnis neuerer Resultate in ihren eigenen Wissenschaften … sowie auf der Unfähigkeit, die Implikationen von Resultaten zu sehen, die sie kennen. Es zeigt, wie oft Wissenschaftler ihre Autorität selbst dann einsetzen, wenn sie nichts wissen.” (Erkenntnis für freie Menschen, l61). Kurzum: Ein höchst unwissenschaftliches Verhalten!

Szene 2: In ganz ähnlicher Manier flimmerte im Vorjahr der Astrophysiker und Romanautor Carl Sagan über Österreichs Bildschirme. In einer wissenschaftlichen Dokumentation postierte er sich breit und überlegen schmunzelnd vor der Kamera. Aus zwei verschiedenen Illustrierten verlas er dann zwei ziemlich konträre Tageshoroskope und meinte triumphierend (… so ungefähr): “Na, da sehen Sie, dass an der Astrologie nichts dran sein kann!” Bei einem etwas höheren Bekanntheitsgrad der astrologischen Methodik hätte er sich damit völlig lächerlich gemacht. Er hätte gewirkt wie einer, der sich auf den Waggon einer Spielzeugeisenbahn setzt und dann lautstark verkündet: “Na, da sehen Sie, dass das Bahnfahren zu nichts führt!” (Und außerdem: Wer sagt denn, dass wissenschaftliche Aussagen nicht auch widersprüchlich sein dürfen?).

In solchen Auseinandersetzungen tritt die Beschränktheit mancher Wissenschaftstreibender voll zu Tage. Es ist eine Beschränktheit, die aus der fortwährenden Eigenbeschränkung kommt. In solchen Auseinandersetzungen zeigen sich auch die Glaubensakte deutlicher, die jeglichem Wissenserwerb und jeglicher Hortung von Wissen vorgelagert sind. Und die Abwehrbastionen gegen die persönliche Veränderung lassen etwas von ihrer Mauerdicke spüren … Das Zeitalter des maschinenhaften Funktionierens steckt in der Krise; der Weg der “modernen und fortschrittlichen Menschheit” wird rückgebrochen auf die Ebene der Selbstreflexion, der Selbstvergewisserung und Selbsterfahrung. Die wiedererstehende Astrologie bildet nur eine Facette dieser Entwicklung. – Wer sich wirklich mit anderen Erkenntniswegen befasst, wer sich in andere Weltbilder einlässt, läuft unweigerlich Gefahr, sich zu verwandeln. Und demgegenüber hegen viele Rationalisten eine fürchterliche Furcht!

Freilich: Auf Johannes Kepler sollten sich die Verwalter der “einzig wahren und vernünftigen Wissenschaft” in ihrer blinden Ablehnung fremder Wirklichkeiten nicht mehr berufen – auch und gerade an einer Universität nicht, die seinen Namen trägt!